Leitbilder sind berühmt und berüchtigt. Warum sie jedoch mehr können als oft unterstellt, verrät der Artikel UNTERNEHMENSIDENTITÄT AUF DEM PRÜFSTAND – Warum Werteprozesse Geschäftstreiber sein können. Und oft nicht funktionieren.
Das Leitbild hat wieder Konjunktur, denn der Wunsch nach Orientierung in einer sich immer schneller drehenden Unternehmenswelt wächst. In der klassischen Form beschreibt es den Zweck, die langfristige Entwicklung und die Art und Weise der internen Zusammenarbeit bzw. des Außenauftritts einer Organisation – anders ausgedrückt umfasst das Leitbild Mission, Vision, Werte und Führungsgrundsätze. Es stiftet Identität und fördert die Identifikation. So weit die Wunschvorstellung. In der Realität hören viele Unternehmen allerdings genau dann auf, wenn die eigentliche Arbeit beginnen sollte. Denn für gewöhnlich steht am Ende des Werte- oder Leitbildprozesses lediglich eine Broschüre – Absender: der Vorstand –, die dann via Verlautbarungskommunikation in die Organisation gespielt werden soll. Das Motto: „Jetzt bitte leben!“ Wer so vorgeht und die Mitarbeiter in die Entwicklung des Leitbilds nicht einmal einbezieht, darf sich über mangelnde Begeisterung nicht wundern. Die Reaktion der Belegschaft ist erwartbar: „Gelesen, gelacht, gelocht.“ Auch weil sie häufig eine große Kluft zwischen Sollprofil und erlebter Realität wahrnimmt. Image may be NSFW.
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Gerade ein Wert wie Vertrauen wird leicht ad absurdum geführt, wenn das Unternehmen den Mitarbeitern durch komplexe Unterschriftenregelungen eben jenes nicht zuspricht. Wenn Partizipation gepredigt, aber Top-down-Verordnungen gelebt werden. Wenn eine bessere Kundenorientierung gefordert ist, es aber eigentlich nur darum geht, immer das Beste für die Firma herauszuholen.
In der Entwicklung eines Leitbilds vergeben sich Unternehmen viel Potenzial, wenn sie den Dialog über die bestehende und gewünschte Kultur oder Ausrichtung nicht in die gesamte Organisation tragen. Wie es besser geht, hat zum Beispiel die Festo AG vorgemacht, ein weltweit führender Anbieter von Lösungen für die Industrieautomatisierung. In einem mehrstufigen Werteprozess hat das Top-Management zunächst den Rahmen abgesteckt. Grundlage waren sogenannte Cultural Drawings – von den Führungskräften erstellte Zeichnungen, die existierende und gewünschte Verhaltensweisen bei Festo illustrierten. Sie gaben Antworten auf Fragen wie: Was macht uns stolz? Was sind Dos and Don’ts bei Festo? Welche Situationen illustrieren unsere Kultur am besten? 300 Führungskräfte weltweit setzten sich auf diese Weise mit den künftigen Werten auseinander.
Zusätzlich prüfte ein bereichsübergreifendes Sounding Board die ersten Entwürfe des Zielbilds in enger Abstimmung mit einem Wertekomitee. In einem nächsten Schritt wurde der unternehmensweite Dialog eröffnet: Im Intranet diskutierten die Mitarbeiter anhand von Thesen die vorgeschlagenen Kulturdimensionen. Bei diesem Culture-Square wurden die Mitarbeiter pro Dimension mit zwei unterschiedlichen Ausprägungen im Sinne eines „mehr davon“ oder „weniger davon“ konfrontiert: Soll das Unternehmen beispielsweise eher vorsichtiger oder eher mutiger in seinen Entscheidungen agieren? Auf Grundlage der Culture-Square-Ergebnisse konnte das Projektteam schließlich prägnante und differenzierende Werte formulieren. Mit der Verabschiedung durch den Vorstand erfolgte dann der Startschuss für die weltweite Einführung –in Form von Dialogformaten bis auf Teamebene.
In vielen Unternehmen begegnen die Mitarbeiter Werteworkshops zunächst mit großer Skepsis. Sie befürchten, in Harmoniesoße ertränkt zu werden. Ein Großteil der Teilnehmer kommt dann aber erstaunt aus den Veranstaltungen heraus und stellt fest: Dieser Tag hat uns in unserem Geschäft bzw. in unserer Zusammenarbeit weiter gebracht als alle Jours fixes der vergangenen vier Wochen zusammen.
Dies ist immer dann der Fall, wenn Unternehmen den Werte- oder Leitbildprozess mit ihren Geschäftsprozessen verzahnen. Denn Werte sind kein Selbstzweck. Sie dienen als Instrument, um zentrale Themen auf den Tisch zu bringen, etwa Tabus innerhalb von Teams oder Grabenkämpfe zwischen Abteilungen. Ein gemeinsames Verständnis schärft den Blick für das unternehmerische Ganze und bringt auf den Punkt: Was ist uns wichtig? Dass bei der Kommunikation eines Leitbilds längst nicht mehr die Broschüre die erste Wahl ist, zeigt das Beispiel eines Energieversorgers. Das Unternehmen musste eine umfassende Restrukturierung durchlaufen und entschied sich, den Ist- und Soll-Zustand der Organisation in einer Storymap zu visualisieren. Die dargestellten Szenen aus dem Unternehmensalltag bieten hohes Identifikationspotenzial und erleichtern die Diskussion über Stärken und Schwächen.
Alle Abteilungen und Teams haben – im wahrsten Sinne des Wortes – ein gemeinsames Bild vom Zustand der Organisation und ein gemeinsames Verständnis darüber, wie der Weg in die Zukunft verläuft.
Fazit: Ein Leitbildprozess kommt erst dann voll zur Wirkung, wenn der Verankerung mindestens so viel Zeit eingeräumt wird wie dem Entwicklungsprozess und die Kommunikation nicht nur auf Kampagnenelemente vertraut. Leitbilder werden lebendig, wenn sie hierarchie- und bereichsübergreifend einen Diskurs auslösen und die Mitarbeiter dazu motivieren, sie mit eigenen Geschichten zu füllen.
Die Ketchum Pleon-Experten Markus Czeslik und Kerstin Straubinger erklären im Inspire #5 die Erfolgsfaktoren von Leitbildern. Das gesamte Magazin zum Download finden sie hier oder auf Slideshare.
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